Text: Belinda Schweizer | Interview mit: Katja Imboden
Das Rentenalter der Frauen wurde nach der letzten AHV-Reform gerade erst erhöht. Auch nach dieser Erhöhung des Rentenalters auf 65 Jahre bleibt es leider eine Tatsache, dass Frauen immer noch tiefere Renten haben als Männer. Der sogenannte Gender Pension Gap. Und er beträgt rund 30 Prozent! Das soll sich nun mit der anstehenden BVG-Reform ändern. Am 22. September 2024 stimmen wir in der Schweiz über diese Reform der beruflichen Vorsorge ab. Was diese Reform genau beinhaltet und wie sie die Rentensituation der Frauen in der Schweiz konkret verbessert, erfährst du hier im Interview mit unserer Vorständin und Renten-Expertin, Katja Imboden.
«Die Frauenzentrale Zürich sagt am 22. September 2024 ja zur BVG-Reform.»
FZ: Zum Einstieg in das Thema: Magst du kurz umreissen: Was ist die 2. Säule und was bedeutet das BVG?
Katja: Das schweizerische Vorsorgesystem beruht auf drei Säulen. Die berufliche Vorsorge, das BVG, bildet die zweite Säule und verfolgt zwei unterschiedliche Ziele. Einerseits werden Leistungen bei Invalidität und Tod versichert. Zum anderen wird für das Alter gespart. Das angesparte Kapital kann später als Rente oder Kapital bezogen werden.
FZ: Warum sind Frauen im Alter systemisch bedingt schlechter gestellt als die Männer?
Katja: Für die Altersvorsorge wird während der Erwerbsjahre auf der Basis des erzielten Einkommens gespart. Wer wenig verdient oder Teilzeit arbeitet, kann weniger oder gar nichts sparen, was zu einem kleineren Altersguthaben und damit zu tieferen Renten führt. Frauen sind davon überdurchschnittlich betroffen, da sie häufiger in Niedriglohnbranchen oder Teilzeit arbeiten.
FZ: Wie kann die anstehende BVG-Reform solche systembedingten Ungleichheiten beseitigen?
Katja: Die Hürden für Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigte sowie für Arbeitnehmende im Niedriglohnbereich werden gesenkt. Mit der BVG-Reform beträgt der Koordinationsabzug neu 20 Prozent des Lohnes und nicht wie bisher fix CHF 25‘725, unabhängig davon, wie viel ich verdiene. Dies hat zur Folge, dass für diese Arbeitnehmenden – vor allem Frauen – ein höherer Betrag versichert wird. Zudem wird die Eintrittsschwelle, also wie viel man mindestens verdienen muss, um überhaupt in der Pensionskasse versichert zu sein, mit der BGV-Reform gesenkt. Sie sinkt von bisher CHF 22‘050 auf neu CHF 19‘845, so dass auch Arbeitnehmende mit tieferen Löhnen der Pensionskasse beitreten können.
FZ: Dank der Reform kann der Systemfehler des fixen Koordinationsabzuges endlich behoben werden, notabene eine Forderung der Frauenzentrale Zürich seit mehr als 30 Jahren. Was ist ein Koordinationsabzug und wie kann er sich nachteilig auswirken, wenn ich z.B. zwei Teilzeitstellen habe?
Katja: Verdient eine Person bei zwei Arbeitgebern je CHF 30‘000, so wird ihr heute gemäss BVG auf beiden Löhnen der fixe Koordinationsabzug verrechnet. Von den CHF 60’000 werden also CHF 51’450(2x CHF 25’725) abgezogen. Somit verbleibt ein versicherter Betrag von lediglich rund CHF 9‘000. NEU wird der Koordinationsabzug prozentual berechnet, d.h. 20 Prozent, und es bleibt ein versicherter Betrag von CHF 48‘000. Je höher der versicherte Lohn, desto höher die Beiträge (auch der Arbeitgeber) und desto höher die Leistungen bei Invalidität und Tod sowie die Altersrenten.
FZ: Ein wichtiger Kritikpunkt, den wir gehört haben: Die BVG-Reform sei mit der Senkung des Umwandlungssatzes mit einer Abbauvorlage verbunden. Kannst du uns das in einfachen Sätzen erklären und teilst du diese Kritik?
Katja: Der Umwandlungssatz wurde bei der Einführung des Gesetzes auf 6,8 Prozent festgelegt. 6,8 Prozent sind 1/15, was 15 Jahren der damaligen Lebenserwartung nach der Pensionierung entsprach. Diese Lebenserwartung hat sich erhöht und das angesparte Altersguthaben muss nun diese längere Lebenserwartung abdecken, was mit der Senkung des Umwandlungssatzes erreicht werden soll. Wichtig: Das Vermögen der Versicherten wird nicht angetastet, es wird aber pro Jahr ein kleinerer Anteil davon ausbezahlt (6% statt 6,8%), weil wir länger leben.
FZ: Wer sind die Gewinner:innen, wenn die Vorlage am 22. September 2024 angenommen wird?
Katja: Es sind rund 70’000 Personen (gemäss Berechnung des Bundesrates), die dank der Senkung der Eintrittsschwelle neu in der zweiten Säule versichert sind. Sie können damit für ihre Altersvorsorge sparen und sie und ihre Familien erhalten im Ernstfall eine Invaliden- oder Hinterlassenenrente. Zudem haben Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigte dank dem prozentualen Koordinationsabzug einen höheren Lohn versichert und erhalten dadurch höhere Renten.
FZ: Kannst du nochmals zusammenfassen: Warum ist diese BVG-Reform so wichtig für die Frauen?
Katja: Das 1985 eingeführte Gesetz ging von einem traditionellen und statusbezogenen Familienbild aus. Mit dem prozentualen Koordinationsabzug und der Senkung der Eintrittsschwelle soll dies etwas korrigiert und den gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden. Wir müssen die Gelegenheit packen und den Frauen ermöglichen sich eine bessere Altersvorsorge aufzubauen.
Die Frauenzentrale Zürich sagt am 22. September 2024 ja zur BVG-Reform. Bei der Reform handelt es sich um einen politischen Kompromiss, und es gibt nicht nur Gewinnerinnen. Doch mit der Reform wird die berufliche Vorsorge, die bislang auf das Ein-Ernährermodell zugeschnitten ist, endlich modernisiert und an die gesellschaftlichen Realitäten angepasst. Viele Frauen profitieren von dieser Reform. Sie erhalten höhere Renten und sind besser abgesichert.
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