Call Jane – Kinoevent & Rechts-Talk

Die Frauenzentrale Zürich veranstaltete am Donnerstag, 1. Dezember 2022 einen Kinoevent zum Film CALL JANE im Arthouse Le Paris in Zürich.

ÜBER DEN FILM
Der Film spielt in den USA der 60er Jahre: Joy (Elisabeth Banks) lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Chicago als sie erneut schwanger wird. Obwohl die Schwangerschaft eine ernsthafte Gefahr für ihr Leben darstellt, lebt sie in einer Zeit in den USA, in der sie keine legale Abtreibung bekommen kann. 
Da stösst sie zufällig auf das Untergrund-Netzwerk „The Janes“.​ Diese Gruppe aus mutigen Frauen, angeführt von Virginia (Sigourney Weaver), riskiert alles, um Menschen wie Joy die Wahl beim Thema Schwangerschaft zu lassen.
Sie retten Joys Leben und helfen ihr dabei, sich ein neues Ziel im Leben zu setzen: sich intensiv für die Rechte der Frauen zu engagieren, um das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten.​
Das private und zugleich höchst politische Thema einer Abtreibung wird in CALL JANE zu​ einer Geschichte über Solidarität unter Frauen und dem Kampf um Selbstbestimmung. ​
Egal ob in den USA der 60er Jahre oder heute, überall auf der Welt gilt: Frauen müssen das Mitspracherecht an ihren eigenen reproduktiven Rechten haben, denn: 

My body my choice.

TRAILER

DAMIT FRAU SELBER WÄHLEN KANN

CALL JANE ist wie für unsere Zeiten gemacht. Wir brauchen uns nur die Jahrzehnte vor Roe v. Wade, den Urteilsspruch des Supreme Courts aus dem Jahr 1973, der Abtreibung legalisierte, anzuschauen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die Rolle von Frauen
ändern könnte, wenn diese Regelung gekippt wird – und das ist gerade geschehen.
Abtreibung war früher in allen Staaten der USA eine Straftat. Die Behörden bestraften Frauen, wenn sie ihre Sexualität und Fruchtbarkeit nicht so behandelten, wie die Regierung, die Strafverfolgung sowie medizinische und religiöse Institutionen es von ihnen erwarteten.

CALL JANE basiert auf der wahren Geschichte der „Janes“, einem Untergrundkollektiv von Frauen, die im Chicago der 1960er Jahre im Geheimen fast 12’000 Frauen und Mädchen mit sicheren Abtreibungen unterstützten.

AUSZUG AUS DEM INTERVIEW MIT CAROLINA KELLER VOM 1. DEZEMBER 2022

Olivia Frei, Geschäftsführerin der Frauenzentrale sprach vor der Kinoaufführung mit Rechtsanwältin Carolina Keller über die aktuelle Rechtslage in der Schweiz.

Olivia Frei (OF): «Call Jane», den Film, den wir heute sehen werden, zeigt uns, wie es um Abtreibungen in den USA der 1960er Jahre aussah. Damals war es in den USA für Frauen nicht möglich, eine legale Abtreibung zu erhalten. Kannst du uns aufzeigen, wie die Situation in der Schweiz damals war?

Carolina Keller (CK):

  • In den 60er Jahren gab es keine Fristenregelung, sondern nur die Indikationsregelung, sprich es hat eine Indikation (einen medizinischen Grund gebraucht). Das bedeutet, die Abtreibung war nur dann erlaubt, wenn das Leben der Mutter resp. des Kindes gefährdet war.
  • Gemäss Statistiken gab es 17‘000 legale Schwangerschaftsabbrüche und 45’000 illegale Abbrüche.
  • Die Verfolgung und Verurteilung war gross; von den insgesamt 2’600 Verurteilungen wegen Schwangerschaftsabbrüche erfolgten ca. 2’000 in den 60er Jahren.

OF: Wahrscheinlich gab es Graubereiche und Ärzte, die Abtreibungen vornahmen und Gefährdung der Mutter vorgaben. Wenn eine Frau in den 60ern in der Schweiz sich beim Arzt nach den Möglichkeiten erkundigte, was war zu erwarten?

CK:

  • Das Selbstbestimmungsrecht der Frau war zu der Zeit vollkommen irrelevant und die Strafverfolgung wurde vehement und mit aller Konsequenz durchgesetzt. Eine Frau, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollte, war in einer sehr misslichen Lage, die auch ausgenutzt wurde. Sie musste damit rechnen bestraft zu werden auch nur für den Versuch.
  • Im Rahmen meiner Vorbereitung für heute Abend habe ich einen Bundesgerichtsentscheid gefunden, aus dem ich gerne vorlesen würde. Es handelt sich um Pia X. sie wurde wegen des Versuches eines Schwangerschaftsabbruchs verurteilt und hat sich bis vor Bundesgericht gewehrt; leider ohne Erfolg.  

„Nachdem Pia X von Dr. M. wusste, dass sie schwanger war, händigte sie B. den Rest ihres Geldes aus, damit dieser von einem Dritten die Adresse eines Arztes, der Abtreibungen vornehme, in Erfahrung bringen konnte. Als es soweit war, liess sie sich zum gesuchten Arzt nach Zürich führen und stellte sich diesem zur Vornahme des Eingriffes. Es ging ihr weder um blosses Ratsuchen noch allein darum, sich von einem zweiten Arzt auf eine allfällige Schwangerschaft untersuchen zu lassen; was sie dem Arzt zu sagen hatte, war nach ihren eigenen Aussagen vielmehr dahin zu verstehen, “das Kind müsse weg”.

„Indem sich die Schwangere zum Abtreiber begibt, um sich der Leibesfrucht zu entledigen, tut sie, den nach ihrer Vorstellung letzten entscheidenden Schritt zum Erfolg; die Schwelle der Wohnung oder des Besuchsraumes des Abtreibers ist in diesem Fall für sie zugleich die Schwelle von der Vorbereitung zur Ausführung der Straftat. So war es auch hier, als sich Pia X. zu Dr. F. in Zürich führen liess, damit er ihr die Frucht abtreibe; die Verwirklichung ihrer Absicht ist nur daran gescheitert, dass Dr. F. den Eingriff verweigerte.“

OF: Nun ist die Fristenregelung erst 2002 in der Schweiz in Kraft getreten. Die Zahlen, die du am Anfang genannt hast, werden sich verändert haben und in der Zeit zwischen 1960 und 2002 gab es einiges an Bewegung zum Thema Abtreibung in der Schweiz. Vierzig Jahre in a Nutshell, was sind die Meilensteine auf dem Weg zur Fristenregelung?

CK: Mit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches im Jahr 1942 wurde die Abtreibung verboten und nur für “Medizinische Notfälle” gab es Straffreiheit:

  • Es entwickelte sich in den Kantonen eine höchst unterschiedliche Praxis. Das Strafgesetz von 1942, das Abtreibungen nur zuliess, wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet war, wurde in den Kantonen jedoch nicht einheitlich interpretiert: Zürich, Genf, Basel-Stadt, Bern und Neuenburg pflegten bereits in den siebziger Jahren eine liberale Auslegung des Gesetzestextes. In diesen mehrheitlich städtisch geprägten Kantonen galten auch die psychische Gesundheit oder die sozialen Umstände der Frau als massgebend für einen Schwangerschaftsabbruch. In den katholisch-ländlichen Kantonen Wallis, Uri, Schwyz, Obwalden und im Appenzellerland herrschte zur gleichen Zeit eine restriktive Praxis. In Nidwalden war der Schwangerschaftsabbruch bis zur Einführung der nationalen Fristenregelung gar nicht möglich
  • In den 70-er gab es zwei Verurteilung von Ärzten im Kanton Neuenburg. Dies brachte die Fristenregelung ins Rollen. Der Bundesrat beschloss 1971 die Revision des StGB, der in 1975 die Initiative für Fristenlösung folgte. Am 25. September 1977 wurde die Fristenlösung abgelehnt (51.7%, also knapp).
  • Ab den 1980ern gab es fast keine Verurteilungen mehr, also trotz Scheitern der Fristenregelung in der Fristenlösung, war es faktisch so, dass die Untersuchungsbehörde die Strafbestimmungen sehr weit ausgelegt haben.
  • In den 90er gab es einen zweiten Anlauf und in 1993 eine Parlamentarische Initiative für eine Fristenlösung.
  • Im Juli 1999 war die Lancierung der Abtreibungspille.
  • Am 2. Juni 2002 wird die Fristenlösung mit deutlichen 72.2% vom Volk angenommen; nachdem die CVP und Abtreibungsgegner-Organisation das Referendum ergriffen hatten.

2. Juni 2002 wird die Fristenlösung mit deutlichen 72.2% vom Volk angenommen.

OF: Nun kennt die Schweiz also seit 2002 die Fristenregelung. Was ist die Fristenregelung überhaupt?

CK: Unter Einhaltung gewisser Voraussetzungen ist der Schwangerschaftsabbruch straffrei. Es sind 5 Voraussetzungen, die in der Fristenregelung erfüllt sein müssen:

  • Vornahme des Abbruches muss innerhalb von 12 Wochen seit Beginn der letzten Periode, also 10 Wochen nach der Befruchtung vorgenommen werden.
  • Der Eingriff muss durch einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt bzw. Ärztin durchgeführt werden.
  • Der Abbruch muss auf schriftliches Verlangen der Schwangeren auskommen.
  • Ein Beratungsgespräch über die gesundheitlichen Risiken, gemäss den Vorgabe im Gesetz, muss stattfinden.
  • Notlage der Schwangeren muss gegeben sein. Wobei es sich nicht um eine objektive Notlage handeln muss, sondern der Umstand, dass die Schwangerschaft ungewollt ist, ist bereits eine Notlage.

  • Nach den 12 Wochen kann eine Schwangerschaft straffrei nur noch aus medizinischen Gründen erfolgen. Dieses Gesetz darf nicht durch Kantone eingedämmt werden z.B. mit einer Regelung, dass nur Fachärzte für Gynäkologie die Abtreibung vornehmen müssen, wobei ich in der Vorbereitung ein NZZ Artikel aus dem Jahr 2016 gelesen habe, dass es in gewissen Kliniken schwierig zu sein scheint, innert nützlicher Frist einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.

OF: In den USA hat 2022 der Supreme Court Roe v. Wade gekippt. Welche Bestrebungen gab und gibt es in der jüngsten Vergangenheit und aktuell in der Schweiz, die Fristenregelung zu schwächen, abzuschaffen oder grundsätzlich zu verändern?

CK:

  • Gibt immer wieder Bestrebungen das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren einzuschränken.
  • Zuletzt Streichung aus der Grundversicherung in 2014 (Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache).
  • Aktuell gibt es die Initiative „Einmal darüber schlafen“ und die “1-Tages-Bedenkfrist Initiative”.
  • Es gibt eine Petition zur Entkriminalisierung (Streichung der Abtreibung aus dem STGB). Die Unterschriftensammlung läuft.
  • Abtreibung ist eine Frage der Gesundheit und nicht des Strafgesetzbuches.

ÜBER CAROLINA KELLER

Carolina Keller Jupitz ist vorwiegend im internationalen Familien-, Kindes- und Erbrecht tätig (Spezialisierung auf bi-nationale Ehen). Aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds als schweizer-brasilianische Doppelbürgerin berät und vertritt sie Ihre Klienten auf Portugiesisch, Deutsch und Englisch in allen Belangen des Familien- und Erbrechts (elterliche Sorge, Kindsunterhalt, Trennung, Scheidung, Anerkennung ausländischer Scheidungsurteilen).
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