Text: Olivia Frei
2016 – mitten im Wahlkampf – tauchte eine Audioaufnahme von Donald Trump auf, in der er sagte, als berühmte Person könne er mit Frauen alles machen, auch «grab ‘em by the pussy». Also ungefragt in den Intimbereich greifen. Der Moderator lachte und Wochen später wurde Trump zum US-Präsidenten gewählt. Nicht nur ich habe mich damals gefragt, wie das überhaupt möglich ist, wie Millionen Menschen darüber hinwegsehen können.
Antworten gibt die Rape Culture, die Vergewaltigungskultur. Neben der Gewaltpyramide (mit dem Mord an der Spitze) gibt es die Pyramide der sexualisierten Gewalt.
Diese Rape Culture beginnt mit der Normalisierung sexualisierter Gewalt, geht über in Erniedrigung von Frauen, spricht Frauen ihre Autonomie ab und gipfelt in expliziter Gewalt. Um beim Beispiel von Donald Trump zu bleiben: Sein Spruch, das Lachen des Moderators und das Wegschauen der Gesellschaft sind Beispiele für die Normalisierung sexualisierter Gewalt. Wenn Donald Trump Frauen ungefragt anfasst, dann ist das eine Aberkennung von Autonomie. Hat sich seit 2016 etwas geändert? Nein! In einem Zivilprozess im Mai 2023 wurde Trump des sexuellen Missbrauchs von E. Jean Carroll für schuldig befunden, dennoch wird er voraussichtlich als offizieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner im November 2024 zur Wahl antreten.
«Aber wir müssen nicht über den Teich schauen, um Beispiele für Rape Culture zu finden.»
Aber wir müssen nicht über den Teich schauen, um Beispiele für Rape Culture zu finden. 2017 trat Yannick Buttet (Die Mitte, Wallis) aus dem Nationalrat zurück, nachdem gegen ihn Vorwürfe wegen Stalking und sexueller Belästigung erhoben worden waren. Er bleibt jedoch bis 2020 Gemeindepräsident von Collombey-Muraz. Er wurde 2018 wegen Nötigung und 2021 wegen sexueller Belästigung verurteilt. Kürzlich wurde Buttet zum Präsidenten der Walliser Tourismuskammer gewählt und damit indirekt zum Chef seines Opfers, das bei Wallis Promotion arbeitet. Rape Culture at its best also.
Im neuen Buch «Jede_ Frau» zeigt die Autorin, Agota Lavoyer, wie Rape Culture in unserer Gesellschaft funktioniert. Sie macht deutlich, dass wir alle die Rape Culture verlernen müssen. Denn wir alle – Frauen und Männer – leben in ihr und werden von ihr geprägt. Und wie machen wir das? Wir dürfen über sexualisierte Gewalt nicht nur sprechen, wenn es um Vergewaltigungen geht. Sondern auch über die Basis der Pyramide, über Verharmlosung, sexistische Sprüche und Vergewaltigungswitze. Wir müssen darüber sprechen, wenn wir hören, dass sich jemand im Bekannten- oder Freundeskreis so verhält oder solche Sprüche macht.
Ich nenne ein erstes Beispiel: 2017 veröffentlichte der Spiegel Vorwürfe gegen den Fussball-Superstar Cristiano Ronaldo. Er soll eine Frau vergewaltigt und Schweigegeld gezahlt haben. Dem Spiegel lagen Dokumente vor, in denen der Fussballer gegenüber seinen Anwälten sagte: «Sie hat mehrfach Nein und Stopp gesagt.» Im Jahr 2019 gab die Staatsanwaltschaft von Las Vegas (wo die mutmassliche Vergewaltigung stattfand) bekannt, dass der Fussballer nicht strafrechtlich verfolgt werde, da der sexuelle Übergriff nicht zweifelsfrei bewiesen werden könne. So weit, so normal. Seit 2017 wurde er von verschiedenen Vereinen verpflichtet, mit Millionenbeträgen entlohnt und zum Fussballer des Jahres gewählt. Aktuell spielt er mit Portugal bei der Fussball EM und wenn Portugal spielt, ist er häufiger auf dem Bildschirm zu sehen als seine Mitspieler. In den Fernsehstudios unterhalten sich Männer darüber, wie er in seinem hohen Fussballalter immer noch so unglaublich fit ist und welche Rekorde er bricht. War da was? Nein, möchte man meinen. Sexualisierte Gewalt wird hier nicht nur bagatellisiert, sondern ignoriert.
«Sexualisierte Gewalt wird hier nicht nur bagatellisiert, sondern ignoriert.»
Immer dann, wenn es um bekannte Persönlichkeiten geht und deren (vermeintliches) Fehlverhalten in Bezug auf sexualisierte Gewalt in der Öffentlichkeit thematisiert wird, werden diese Männer damit entschuldigt, dass sie strafrechtlich nicht belangt wurden. Nicht alles, was moralisches Fehlverhalten ist, kann auch strafrechtlich verfolgt oder belangt werden. Das heisst im Umkehrschluss aber nicht, dass das Verhalten deshalb okay ist. Diese feine Linie gilt es im Auge zu behalten, zu diskutieren und nicht davon abzuweichen. Nicht bei bekannten und gefeierten Persönlichkeiten und nicht im privaten Umfeld.
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