Gastbeitrag: Rede von Marah Rikli anlässlich des Frauenstreiks am 14. Juni 2024 

Text: Marah Rikli am Frauenstreik 2024

Ich spreche heute hier, weil ich selbst erschöpft bin. Schuld an meiner Erschöpfung sind und waren nicht meine Kinder. Schuld sind nie die Kinder. Schuld sind nicht Menschen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung. Schuld sind nicht wir selbst. Schuld ist ein System, das uns pflegende Angehörige und Menschen mit Krankheit und Behinderung im Stich lässt.  

Ein System, das keine Stunde Hilfe freiwillig zur Verfügung stellt. Ein System, in dem um jede Sekunde Unterstützung gekämpft werden muss. Ein System, das Mütter behinderter, psychisch und chronisch kranker Kinder stigmatisiert und ihnen Schuld zuweist. Ein System, das Menschen mit Behinderung unter Generalverdacht stellt. Ein System, das uns pflegende Angehörige verdächtigt, uns Hilfe erschleichen zu wollen und uns verdächtigt, unsere Kinder behinderter zu reden, als sie sind. Uns selbst müder, als wir sind. Ein System, das uns unterstellt, aus der Behinderung unserer Kinder, aus unserer Erschöpfung Profit schlagen zu wollen.  

«Ich kann das nicht länger schweigend hinnehmen.» 

54’000 Kinder in der Schweiz haben eine Behinderung. Sie werden hauptsächlich von ihren Müttern betreut. 54’000 Kinder, die wegen ihrer Behinderung diskriminiert werden, die von der Schule ausgeschlossen werden, die wenig Bildung erhalten, die in Spitälern und Heimen oft Gewalt ausgesetzt sind. Kinder, die oft einsam sind und mit ihnen ihre Mütter.  

Mütter, die sich neben der Betreuung und Pflege auch um ihr Erwerbseinkommen kümmern müssen und dennoch kaum eine Altersvorsorge haben werden. Mütter, die sich nicht trennen können, weil sie es sich nicht leisten können. Mütter, die ihre Kinder pflegen und deren Aufenthaltsbewilligung an die Ehe mit dem gewalttätigen Mann gebunden ist. Mütter, deren Kinder keine Hilfe bei psychischen Erkrankungen erhalten. Mütter, die selbst krank sind und dennoch keine Haushaltshilfe oder Assistenz erhalten. Mütter, die arm sein werden, weil sie ihre Angehörigen gepflegt haben. Mütter, wie ich eine bin. Dank derer Milliarden von Stunden unentgeltlicher Betreuungs- und Pflegearbeit eingespart werden. 

Ich kann es nicht länger schweigend hinnehmen, das Sparschwein des Systems zu sein. Das Sparschwein eines Systems, das von unserer Liebe profitiert. Ich habe letztes Jahr gefragt und ich frage dieses Jahr wieder: Wo ist das Milliardenpaket für uns? Für Menschen mit Behinderung, mit chronischer Krankheit? Für uns pflegende Angehörige? 

Ich fordere Boni für uns und finanzielle Sicherheit für Menschen mit Behinderung. Finanzielle Sicherheit für Frauen wie mich. Für pflegende Angehörige. Ich fordere Sicherheit für Frauen und Mädchen mit Behinderung wie meine Tochter. Ich fordere Anerkennung für Care-Arbeit im privaten wie im öffentlichen Sektor.  

Es ist an der Zeit, dass die Privilegierten die weniger Privilegierten sichtbar machen und für sie die Stimme erheben. Es ist an der Zeit, dass wir nicht nur unsere eigenen Interessen vertreten. Und nicht nur die Missstände benennen, die uns persönlich betreffen. Lasst uns auch dann kämpfen, wenn wir schon alles haben. 

Lasst uns heute laut sein, lasst uns Hand in Hand marschieren. Lasst uns zusammenstehen, lasst uns nicht länger schweigen. 

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Erfahre mehr über Marah Rikli.

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