Text: Alexandra Müller
Die Digitalisierung und Automatisierung schreiten immer schneller voran. Auch die Frauenzentrale Zürich setzt sich vermehrt mit digitalen Inhalten und deren Erstellung auseinander und natürlich versuchen auch wir, die Chancen und Gefahren der künstlichen Intelligenz genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei setzen wir auf Expertenmeinungen und haben uns mit Rolf Jeger, Leiter der Werbeagentur VOIMA, zu einem Gespräch über ChatGPT getroffen.
Liliane Ritzi und Rolf Jeger haben die Agentur VOIMA vor 7 Jahren gegründet und das Team umfasst heute 6 Mitarbeitende. Rolf war einer der Ersten, der die Chancen von ChatGPT erkannte und ein Buch zum Umgang mit ChatGPT schrieb. Seither tritt Rolf als Experte an verschiedenen Events zum Thema KI auf und bietet Einführungskurse und Workshops an.
Frauenzentrale Zürich (FZ): Hallo Rolf, danke, dass du Zeit für ein Interview hast!
Rolf Jeger: Sehr gerne. Toll, dass ihr diesem wichtigen Thema Platz gebt.
FZ: Kannst du in einfachen Worten erklären, was ChatGPT genau ist?
Rolf Jeger: Ja, gerne. ChatGPT ist wie eine superkompetente Person, die alle meine Fragen beantworten kann. Egal, ob es um ein Kuchenrezept, Ideen für ein Theaterstück oder geschichtliche Zusammenhänge geht.
FZ: Was genau ist ein Prompt?
Rolf Jeger: Das ist die Texteingabe, über die ich mit ChatGPT kommuniziere. Ein Prompt kann kurz sein, etwa «Warum fliegt ein Flugzeug», oder auch sehr ausführlich.
FZ: Woher hat ChatGPT diese Informationen?
Rolf Jeger: Das ist die entscheidende Frage. ChatGPT wurde mit einer Unmenge an Internettexten gefüttert, unter anderem Bücher, Websites und andere Online-Inhalte. Die Resultate wurden durch Hunderte Mitarbeitende in Kenia, Uganda und Indien trainiert. Sie kennzeichneten auch verstörende, illegale, rassistische und diskriminierende Inhalte.
Unmenge bedeutet, dass ChatGPT mit dem aktuellen Modell GPT4 geschätzte rund 1 Billion (!) Parameter verwendet.
FZ: Welche Chancen siehst du in der Verwendung von ChatGPT?
Rolf Jeger: Ich sehe endlose Chancen. ChatGPT bietet vielfältigste Möglichkeiten. Je tiefer man taucht, desto mehr erstaunliche Anwendungen entdeckt man. Kaum ein Bereich wird nicht von ChatGPT berührt. ChatGPT ist ein grossartiger Copilot in allen Belangen.
FZ: Wenn künstliche Intelligenz über Leben und Tod entscheidet, rettet sie lieber Männer als Frauen. Das zeigt ein aktuelles Experiment. Wie erklärst du dir das?
Rolf Jeger: Meine Lieblingsmetapher für Künstliche Intelligenz ist die des Flamingos. Seine rötliche Färbung kommt von den Krebstieren, die er frisst. Auch die künstliche Intelligenz wird gefärbt: Durch die Daten selbst, und durch das anschliessende Training. Bei KI, die Bilder generiert, ist das besonders augenfällig.
Ich hatte kürzlich echt Schwierigkeiten, in der Bildgenerierungssoftware Midjourney eine Frau ans Steuer eines Autos zu setzen. Das Programm wollte sie partout auf den Beifahrersitz verbannen. Das nennt sich Bias, also Voreingenommenheit, und ist ein bekanntes Problem in der KI.
FZ: Wie kann ChatGPT dazu beitragen, feministische Anliegen zu fördern und Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft zu unterstützen?
Rolf Jeger: KI ist ein mächtiges Instrument und wird von Grosskonzernen wie Amazon und Meta seit Jahren eingesetzt. ChatGPT gibt jetzt kleinen Firmen, Einzelpersonen und Organisationen Zugang zu dieser Power, universell einsetzbar. ChatGPT hilft beispielsweise, Informationen und Daten bereitzustellen – von der Recherche über die Strategie bis zur Erstellung von Inhalten. Es kann Diskriminierungen und Stereotype erkennen.
Mit dem kürzlich veröffentlichen Code Interpreter von ChatGPT ist die Analyse von umfangreichen Datensätzen möglich, für die man sich vorher ein komplettes Datenanalyse-Büro hätte leisten müssen. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten, um Missstände und Ungerechtigkeiten zu entdecken, herauszuschälen und zu belegen.
FZ: Gibt es spezifische Funktionen oder Algorithmen, die implementiert wurden, um sicherzustellen, dass das Modell nicht sexistisch oder diskriminierend agiert?
Rolf Jeger: Microsoft hat ein eigenes Komitee für «Responsible AI», welches divers zusammengesetzt ist. OpenAI, der Hersteller von ChatGPT, hat eine umfangreiche «Usage Policy» definiert und umgesetzt. Bias ist über Diskriminierung hinaus ein grosses Problem bei KI und ich habe den Eindruck, dass die Hersteller das ernsthaft angehen.
Der Algorithmus von ChatGPT ist darauf trainiert, achtsam mit solchen Themen umzugehen und ergänzende Texte einzufügen. Die explizite Generierung diskriminierender Inhalte ist nicht möglich. Es ist aber einfach so, dass die Daten die Basis bilden, und die sind ein Abbild unserer Gesellschaft der letzten Jahre.
Diskriminierung, Stereotype und Sexismus sind eine Realität, und diese Tendenzen spiegeln sich in den Daten, offen oder subtil. Dies kann durch Training korrigiert werden. Nur sind die Trainer wiederum in ihre jeweilige Gesellschaft und in ihr persönliches Wertesystem eingebettet.
FZ: Kann man ChatGPT überhaupt feministisch nutzen?
Rolf Jeger: Definitiv. Es ist alles eine Frage des Promptes. Mit dem Prompt schafft man Kontext für ChatGPT. Du kannst problemlos mit ChatGPT eine feministische Kommunikationsstrategie entwickeln. Oder auf harten Daten basierende feministische Thesen.
FZ: Wie kann ChatGPT Frauen empowern?
Rolf Jeger: Auch hier, unendliche Möglichkeiten. ChatGPT ist ein grossartiges Bildungstool und kann verschiedenste Themen vertieft beibringen. Frauen können mit ChatGPT für Interviews trainieren oder sogar unangenehme Gesprächssituationen wieder und wieder live üben, bis sie diese perfekt meistern. ChatGPT ist eine sichere Umgebung, die Karrieretipps gibt und in der Frauen unbeschwert über ihre Gedanken und Gefühle sprechen und sich beraten lassen können. Und so weiter, und so weiter. Letztlich können Frauen mit ChatGPT ihre Kompetenzen und ihr Selbstvertrauen festigen.
«Die Büchse der Pandora ist geöffnet.»
FZ: Welchen Rat gibst du Kritikerinnen oder Skeptikerinnen?
Rolf Jeger: Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Ob ihr ChatGPT nutzen wollt oder nicht – setzt euch mit der Technologie auseinander. Sie revolutioniert gerade unsere Gesellschaft in viel grösserem Masse als ihr euch vorstellt, und sie betrifft euch alle. Und für alle, die sagen, dass sie lieber auf «natürliche Intelligenz» setzen: ChatGPT befreit von der Routine, von mühsamen Aufgaben und gibt der eigenen Intelligenz den Raum, die Power, sich richtig entfalten zu können.
FZ: Was möchtest du den Nutzerinnen von ChatGPT mitgeben?
Rolf Jeger: Experimentiert, probiert verschiedene Fragetechniken aus. Wie bei einem Menschen holt Ihr mit ausgefallenen Fragen mehr aus ChatGPT raus. Nutzt dazu gerne auch Ratgeber wie zum Beispiel mein Buch («ChatGPT: Begegnung mit einer neuen Welt»). Fragt nach, wenn euch eine Antwort nicht gefällt. Oder verbessert. Wenn ChatGPT einen Text vorschlägt, der euch zu gestelzt ist, sagt ihm das. Korrigiert weiter, bis ihr zufrieden seid. Hinterfragt Antworten und prüft sie allenfalls mit anderen Quellen. ChatGPT kann nämlich halluzinieren und Dinge erfinden.
FZ: Was möchtest du uns noch unbedingt mitteilen?
Rolf Jeger: ChatGPT hat keinen Plan, kein Konzept unserer Welt. Es versteht sie nicht, hat kein Gewissen, und keine Ethik. ChatGPT gibt einfach die Worte aus, die es für den gegeben Kontext am wahrscheinlichsten hält. Es faked also alles nur, ist aber unglaublich gut darin. Und trotzdem ist es für euch ein kraftvolles Instrument. Nutzt es.
FZ: Danke vielmals für das spannende Interview!
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