Perla: Informations- und Präventionsarbeit im Kampf gegen Menschenhandel

Text: Olivia Frei

Im Interview mit María Leticia Marino von Hildebrand von PERLA erfahren wir, wie die Organisation den Kampf gegen Menschenhandel in der Schweiz führt. Die am 8. März von PERLA, End Demand Switzerland und der Frauenzentrale Zürich gegründete Porta Alliance verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, um Prostitution zu verstehen, zu bekämpfen und die Rechte der Betroffenen zu stärken.

Frauenzentrale Zürich (FZ): Liebe Maria, in welchen Bereichen ist PERLA tätig? 

María Leticia Marino von Hildebrand: PERLA ist eine gemeinnützige NGO im Kanton Waadt, die sich aktiv für die Bekämpfung des Menschenhandels in der Schweiz engagiert. Wir sind in drei Kantonen aktiv: Waadt, Bern und Genf. Insbesondere sind wir im Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung aktiv und besuchen jährlich zwischen 500 und 700 Personen in der Schweiz. In Burkina Faso sind wir in der vorgelagerten Prävention tätig. PERLA setzt sich für die Sensibilisierung der Opfer für ihre Rechte ein und unterstützt die Betroffenen bei der sozialen und beruflichen Wiedereingliederung. Um dies zu erreichen, konzentrieren wir unsere Arbeit auf drei Bereiche. Vor Ort; dort wo sich die Opfer wahrscheinlich aufhalten, Prävention und Sensibilisierung sowie Interessenvertretung.  

FZ: Wie ist die Situation, die ihr in eurer Arbeit im Sexgewerbe antrifft? 

María Leticia Marino von Hildebrand: Da die Prostitution von den Kantonen geregelt wird, gibt es Gesetze, die nicht immer koordiniert und einheitlich sind. Wir können feststellen, dass es in diesem Bereich von Kanton zu Kanton einige Unterschiede gibt. So ist die Prostitution in einigen Kantonen nur in Etablissements erlaubt, während sie in anderen auf der Strasse stattfinden kann, allerdings nur in den von der jeweiligen Gemeinde festgelegten Zonen (z.B. Pâquis in Genf). Für die Menschen in der Prostitution kann es schwierig sein, die Unterschiede zu verstehen, wenn sie von einem Kanton in einen anderen gehen. Diese Situation wird durch ein kriminelles Phänomen verschärft, das sich ständig weiterentwickelt: Nach neuesten Berichten sind die Opfer von Menschenhandel und die Frauen in der Prostitution gezwungen, ständig zwischen verschiedenen Städten und Kantonen zu wechseln. Unsere freiwilligen Mitarbeitenden, die vor Ort tätig sind, sehen jedoch, wie schwierig die Tätigkeit in der Prostitution in allen Kantonen ist und dass die Menschen, die sie ausüben, dies unter teilweise sehr harten Bedingungen tun. Es ist ein berüchtigtes Umfeld für Ausbeutung und Gewalt, unabhängig vom Kanton oder den betreffenden Etablissements.  

FZ: Wie funktioniert der Ausstieg aus der Prostitution, wenn man sich an PERLA wendet und Hilfe sucht? 

María Leticia Marino von Hildebrand: Unsere freiwilligen Mitarbeitenden leiten Informationen an Fachleute weiter, wenn sie die Bestätigung dafür haben, dass eine Person aus der Prostitution aussteigen möchte. Entweder meldet sich eine Person direkt bei uns oder die Fachleute des Vereins nehmen Kontakt auf und vereinbaren ein erstes Treffen. Die Arbeit ist interdisziplinär und wird zwischen den Mitarbeitenden vor Ort und den Fachleuten, die sie empfangen und begleiten, je nach spezifischen Bedürfnissen koordiniert. Bei diesen ersten Kontakten mit dem Team wird eine Anamnese erstellt, um Anzeichen von Menschenhandel zu erkennen. Diese Anamnese hilft uns zu verstehen, was die Person durchmacht, ob sie ein Opfer von Ausbeutung ist und welche Bedürfnisse sie hat. Je nach Bedürfnissen kann PERLA mit anderen Partnern zusammenarbeiten, koordinieren und konkret in das Verwaltungsverfahren eingreifen. Einerseits auf rechtlicher und psychosozialer Ebene, andererseits bei der sozio-professionellen Wiedereingliederung. 

«Diese Anamnese hilft uns zu verstehen, was die Person durchmacht, ob sie ein Opfer von Ausbeutung ist und welche Bedürfnisse sie hat.»

FZ: PERLA macht auch Informations- und Präventionsarbeit. Wie sieht dies Arbeit aus und wo findet sie statt? 

María Leticia Marino von Hildebrand: Diese Arbeit findet auf verschiedenen Ebenen statt. Auf der primären Ebene in gefährdeten Bevölkerungsgruppen, auf sekundärer Ebene, wenn die Person bereits in die verborgene Dynamik des Menschenhandels eingetaucht ist, oder auf tertiärer Ebene, wenn das Opfer entdeckt wurde und dabei ist, aus der Prostitution auszusteigen. Wir haben zum Beispiel gezielte Massnahmen in Asylunterkünften ergriffen, um potenzielle Opfer des Menschenhandels in diesem speziellen Bereich aufzuspüren. Oder wir gehen auch an Orte wo Menschen, die von Ausbeutung betroffen sein könnten, um über ihre Rechte zu sprechen. Und wir bieten Partnerverbänden Schulungen an, damit sie bei ihrer Arbeit die richtigen Instrumente zur Identifizierung von Opfern der Ausbeutung einsetzen können. 

FZ: PERLA, End Demand Switzerland und die Frauenzentrale Zürich haben am 8. März die Porta Alliance lanciert. Was ist das Ziel der Porta Alliance? 

María Leticia Marino von Hildebrand: Unsere Allianz zielt darauf ab, die Prostitution mit einem ganzheitlichen Ansatz anzugehen, der alle Faktoren und Dynamiken von Gewalt und Unterordnung, die der Praxis der Prostitution zugrunde liegen, einbezieht und berücksichtigt. Aus dieser ganzheitlichen und kontextbezogenen Perspektive präsentieren wir objektive und wissenschaftliche Informationen, die auf Analysen und Feldstudien in der Schweiz und unter Berücksichtigung des globalen Systems basieren. Unser Ziel ist es, diese Ergebnisse in einer wahrheitsgetreuen und objektiven Weise zu vermitteln. Auf diese Weise wollen wir über die Realität informieren, aufklären und sensibilisieren, um die notwendigen Änderungen im rechtlichen, juristischen und politischen System herbeizuführen, damit die Rechte der Betroffenen in einem nationalen Kontext zum Tragen kommen. 

FZ: Welche politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wünschst du dir hinsichtlich deiner Arbeit? 

María Leticia Marino von Hildebrand: Wir möchten, dass der Schutz der Opfer im Einklang mit dem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels (2013 in der Schweiz unterzeichnet, ratifiziert und in Kraft getreten) wirksam ist und die Rechte der Opfer, allen voran die Menschenwürde, verwirklicht wird. 

In Anbetracht der Komplexität des derzeitigen Regulierungssystems für die Prostitution in der Schweiz wollen wir mit den anderen Akteuren und Interessengruppen zusammenarbeiten, um ein Umfeld zu schaffen, in dem der Menschenhandel keinen Rückzugsraum mehr finden kann. Wir sind uns bewusst, dass dazu ein politischer, sozialer und rechtlicher Wandel notwendig ist. Die Opfer müssen besser geschützt werden, unabhängig von ihren Dokumenten, ihrer Aufenthaltsgenehmigung oder ihrer Bereitschaft zur Aussage bei den Behörden. Es sollte einen vom Staat finanzierten Ausweg aus der Prostitution geben, wenn prostituierte Menschen diese Tätigkeit nicht mehr ausüben wollen. Die meisten prostituieren sich nur deshalb weiter, weil sie keine Hoffnung auf eine neue Lebens- und Arbeitsmöglichkeit haben. Wenn es einen Auweg gäbe, würden sie meistens sofort diesen Weg gehen.  

«Die Opfer müssen besser geschützt werden.»

FZ: Was sollten unsere Leser:innen unbedingt noch wissen? 

María Leticia Marino von Hildebrand: In den letzten 10 Jahren hat PERLA dank der Pionierarbeit seiner Gründerin, Elisabeth Rupp und des gesamten Teams viel Arbeit vor Ort geleistet. PERLA hat aus erster Hand Zugang zu Informationen über die verborgene Dynamik des Menschenhandels in der Schweiz, sowie über die Bedürfnisse der Opfer und der Komplexität der Situation. Fachwissen muss konsolidiert werden und die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den Partnern und Akteuren, die sich mit dem Thema befassen, muss verstärkt werden. Die Porta Alliance ist nicht nur ein wichtiges Bündnis, um die Interventionen zugunsten der Opfer auszuweiten, sondern sie bietet auch die Möglichkeit, den Stimmen Gehör zu verschaffen, die durch den institutionellen Schleier der Prostitutionsregulierung zum Schweigen gebracht werden. Es ist an der Zeit, den Stimmen der versteckten Opfer des Systems der Prostitution Gehör zu verschaffen, unsere Augen für die Realität zu öffnen und dringende politische und rechtliche Änderungen zugunsten der am meisten gefährdeten Menschen vorzunehmen. Im Einklang mit der europäischen Konvention und der Bundesverfassung, in der steht: im Bewusstsein, dass nur derjenige frei ist, der seine Freiheit nutzt, und dass die Stärke des Gemeinwesens am Wohlergehen der schwächsten seiner Mitglieder gemessen wird.»

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María Leticia Marino von Hildebrand

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Auf unserem Blog findest du übrigens weitere Interviews, Artikel und Beiträge der Frauenzentrale Zürich. Viel Spass beim Lesen! 

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